Seit ungefähr 60 Jahren wird Hexenkunst als eine Religion wahrgenommen, jedenfalls in der westlichen Welt. Es wimmelt von Informationen über moderne Hexenrituale im Internet und auch in Büchern. Jeder der ein Interesse an Hexen hat, kann sich heute leicht Informationen beschaffen. Hexerei wird auch in Filmen, Serien und Fantasy Büchern immer positiver dargestellt- was eine sehr gute Wendung ist aus meiner Perspektive
Die religiöse Seite der Hexenkunst wurzelt in Jahreszeitlichen Festen (Sabbaten), Vollmondfesten (Esbaten) und den Ritualen zu diesen Festivitäten. Auch in der Verehrung der Gottheiten bei diesen Ritualen. Es gibt Hohepriesterinnen und Hohepriester die Coven leiten, einzelne Hexen die Workshops im Internet anbieten und Interessierten Informationen darüber geben- wie sie selbst Hexe werden können und damit ein Teil der Religion werden können. All dies ist eine durchaus positive Entwicklung. Hexenkunst wurde vom Stigma des diabolischen befreit. Doch neben dieser religiösen Seite der Hexenkunst, gibt es noch eine andere. Hexenkunst ist durchaus auch eine Art magisches Handwerk- das wie jedes Handwerk eine Begabung erfordert. Und neben dieser Begabung auch Fleiß, Ausdauer und Hingabe.
Vor gar nicht allzu langer Zeit waren Hexen in der Folklore Menschen, die von Geburt an, gewisse Begabungen besaßen und damit anders waren als die Anderen. Oder aber sie erhielten im Volksglauben ihre Begabungen durch einen Pakt mit dem „Teufel“ (hinter diesem Pakt verbirgt sich nichts anderes als die Verbindung zu den alten Göttern und Geistern, die vom Christentum verteufelt wurden).
In jeder Kultur gibt es Menschen die mit besonderen spirituellen Begabungen geboren werden. Menschen die von Natur aus einen Zugang zur anderen Welt haben- egal ob wir diese jetzt Unterwelt oder Anderswelt nennen. Und ich denke auf diese Sichtweise bezieht sich auch die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Hexe- jemand der auf dem Zaun zwischen den Welten ist, oder in der Hecke sitzt, ein Grenzgänger, jemand der mit der anderen Seite verbunden ist. Hexen sind mit der Unterwelt verbunden, jener anderen Welt, die neben unserer alltäglichen Welt liegt. Der Welt der Geister, in der das schöpferische Potential für alles liegt, aus der die Träume aufsteigen, Visionen und Eingebungen, aus der Kreativität und schöpferische Kraft fließen.
Und auch heute noch gibt es natürliche Hexen, Menschen die einen starken Zugang zur Unterwelt haben und durch diesen Zugang, Begabungen und Fertigkeiten besitzen. Sie sind einfach Hexen. Viele von ihnen verstehen anfangs nicht was sie sind, wollen normal sein und sich anpassen, fühlen sich anders und fremd und passen oft nicht richtig in die sozialen Gefüge um sie herum. Bis sie ihre Andersartigkeit annehmen und für sich akzeptieren, dann beginnt ein Veränderungsprozess. Die Begabungen die man anfangs versucht hat zu unterdrücken, werden erkundet, kultiviert und als wertvoll begriffen. Aus der Akzeptanz des anders seins- wird ein Selbstvertrauen das dazu führt, das man nicht mehr versucht sich künstlich anzupassen sondern einfach ist und auslebt wer man wirklich ist.
Aus diesem Blickwinkel hat Hexenkunst weniger etwas mit Religion zu tun, sondern mit dem annehmen und ausleben des eigenen Potentials. Wenn Hexen anfangen ihre Verbindung zur anderen Welt zu kultivieren und auszuleben, dann werden sie zu lebendigen Verbindungen zwischen den Welten, mit einem Fuß in der Ordnung der Menschenwelt, mit dem anderen Fuß im kreativen Chaos der Natur. Durch uns Hexen kommt die Kraft der Unterwelt in die Menschenwelt, mit all ihrem kreativen Potential. Hexen sind oft individuell und unkonventionell, hinterfragen die sozialen Werte und Normen, folgen ihren eigenen Regeln, sie sind erfüllt von einer inneren Kraft und wissen diese zu verwenden, sie haben Verbindungen zu hilfreichen Geistern, zu den Ahnen und den alten Göttern, lebendige Verbindungen die nicht auf einem Glauben basieren- sondern auf persönlicher Erfahrung und Interaktion mit diesen alten Kräften. Wenn ich hier von der Unterwelt schreibe, meine ich nicht ein dunkles, kühles Reich das von den Schatten der Toten besiedelt wird und auch nicht die feurige Hölle der christlichen Mythologie, sondern das Reich der schöpferischen Möglichkeiten, den fruchtbaren Schoß der Schöpfung, aus dem sich alles in die materielle Welt ergießt und zu dem alles wieder zurück strömt. Natürlich ist dieser Ort das Reich der Geister, der Träume und das Sammelbecken des normalerweise verborgenen und unsichtbaren, die Welt hinter unserer Welt und doch ein Teil von ihr.
Seit der Christianisierung glauben die Menschen seit vielen Jahrhunderten, dass Hexen mit dem Teufel im Bunde stehen- in Wirklichkeit stehen sie mit der Unterwelt in Verbindung, mit den alten Göttern und Geistern, mit dem Land und seinen Wesenheiten. Der legendäre Teufelspakt ist nichts weiter als eine Metapher für die tiefe Verbindung, die Hexen zu den alten Göttern hatten und haben, zu den Kräften die von der Kirche im wahrsten Sinne verteufelt wurden. Diese Kräfte, Gottheiten und Wesenheiten sind verbunden mit der Natur und der natürlichen Ordnung, sie fordern von den Menschen keine Askese, kein Abwenden von der Welt, kein Verzicht auf die angenehmen Seiten des Lebens. Im Gegenteil sie fördern ein freudvolles Leben- ein Leben das erfüllt ist von Freude, Ekstase, Liebe, Kraft und Magie. Und auch dies spiegelt sich in uns Hexen wieder- durch unsere Verbindung zur Unterwelt und zu den alten Kräften können wir diese Qualitäten wieder in die Welt bringen, den uralten Samen der Magie neu sähen, in unserem eigenen Leben- und durch unser Leben in den Leben der Menschen die mit uns verbunden sind. Aus der Sicht der Kirche waren die alten Götter nichts weiter als böse Dämonen und Teufel, die Natur sollte unterdrückt und sich untertan gemacht werden, die guten Seiten des Lebens wurden perversiert und zur Sünde erklärt, die Hexe wurde zur Verbündeten der sündigen Seite des Lebens, zur Verbündeten des Teufels und des Chaos und dadurch auch zum Sündenbock für allerlei Unglücke. Statt sich der Askese hinuzugeben, geben sich Hexen der Freude hin, statt die Welt als Jammertal zu sehen, sehen Hexen die Welt als göttlich und heilig, statt das Göttliche in einem fernen Himmel zu suchen, wissen Hexen das das Göttliche in uns ist und in der Welt. Statt sich dem Leben und der Natur zu entsagen, geben wir uns dem Leben und der Natur hin, statt die Natur zu bändigen und zu unterdrücken, lernen wir von ihr und wissen das wir ein Teil von ihr sind. Statt Phantasie und Kreativität zu unterdrücken, nehmen wir sie an und statt Magie als etwas böses und unheimliches auszulegen, sehen wir Magie als unser schöpferisches Potential und als unser mächtiges Werkzeug zugleich.
In einer gewissen Weise sind Hexen wie Unkraut das in einem Garten gedeiht. Die Menschen können noch so sehr versuchen das wilde, ungewollte und chaotische aus ihrem Garten zu vertreiben, doch die Natur bringt immer wieder die Samen der Unkräuter in den Garten. Ein Teil der kreativen natürlichen Ordnung, die selbst einen künstlich gepflegten Garten schnell wieder einnimmt, wenn man unachtsam wird. Ebenso ist es mit Hexen. Menschen können noch so sehr versuchen das Andere zu verbannen, Menschen die anders sind auszugrenzen oder gar zu verfolgen- dies ändert nichts daran das es immer wieder Menschen gibt die wie Unkraut, in den gezähmten Strukturen auftauchen und diese hinterfragen, Hexen bringen das schöpferische Potential der Unterwelt und der Natur in die Strukturen der Menschen.
Natürliche Hexen sind frei und ungezähmt, folgen ihren eigenen Moralvorstellungen, sind in Kontakt mit ihrer inneren Kraft und nutzen diese- jedenfalls im Idealfall. Leider gibt es viele natürliche Hexen die ihre eigene Natur nicht verstehen, oder nicht annehmen können, die sich vor ihren Begabungen fürchten (durch Jahrhunderte alte Vorurteile und Unwahrheiten beeinflusst) oder versuchen einem Pfad zu folgen der eigentlich nicht für sie passt und eher ihren Zugang zu ihrer eigenen Macht und ihre Verbindung zur Unterwelt beschneiden, statt diese zu fördern.
Wenn der Same des Potentials nicht gewässert wird und nicht auf nahrhaften Boden trifft, dann verkümmert er. Eine Begabung oder ein Talent zu haben ist erst der Anfang. Wenn dies nicht gefördert wird, dann liegt das Talent bracht und die Begabung wird nicht ausgebaut. Hexen müssen ihre Talente, Fertigkeiten und Begabungen ausbauen, ihr Leben mit praktischer Magie erfüllen, die Verbindungen zu den Kräften und Göttern pflegen und hegen, die Verbindung zur eigenen Kraft immer wieder neu entdecken und wertschätzen und die eigene Andersartigkeit annehmen. Dann entwickelt sich das Potential der Hexen und wir beginnen über uns hinaus zu wachsen. In jeder Hexe brennt eine Flamme, ein magisch-spiritueller Funken. Diese Flamme können wir schüren und anheizen damit in uns ein starkes Licht scheint, ein Hexenfeuer das unsere eigene Kraft verkörpert und unsere Verbindung zur Unterwelt. Und in unserem Blut strömt diese Flamme ebenso, die Verbindung zu den Hexen die vor uns die alten Verbindungen geknüpft haben und uns unser Potential schlummernd in unserem Blut hinterlassen haben, doch es liegt an uns selbst dieses Potential zu erwecken und das Hexenfeuer in uns hell brennen zu lassen, im hier und jetzt.
Praktische Umsetzung:
Hexen können ihr Potential ausbauen in dem sie ihre Begabungen nutzen, wirkt Zauber um euer Leben positiv zu beeinflussen, nutzt Divination um die Zukunft zu erhellen und mit den Geistern und Göttern zu kommunizieren, nutzt eure individuellen Talente im Alltag, verwendet eure Begabungen. Lernt neue Techniken der Zauberei, die euch begeistern und beflügeln, widmet euch der handwerklichen Seite der Hexenkunst- wie in Musiker der ein Instrument lernt, spielerisch aber mit Hingabe und Disziplin. Nicht jeder Zauber wird auf Anhieb funktionieren, nicht jeder Kontakt zu den Geistern wird fruchtbar sein. Alles im Leben ist eine Sache der Übung. Doch nur Ausdauer und Beharrlichkeit führen zum Ziel vermengt mit Spaß, Freude und Hingabe. Die religiöse Seite der Hexenkunst ist sehr erfüllend, die Rituale können die Seele bewegen und uns mit den alten Kräften um uns verbinden, die Jahreszeitlichen Feste helfen uns die Schönheit der Natur bewusst wahrzunehmen, die Zyklen von Tod und Geburt zu verstehen und uns mit Gleichgesinnten in Kontakt bringen. Doch die handwerkliche Seite der Hexenkunst fördert unser Potential, speist unsere persönliche Kraft, kann unsere Kreativität entfachen und hilft uns dabei unsere eigene Macht schöpferisch zu gebrauchen. Die Welt braucht wieder Hexen die mit ihrer eigenen Macht verbunden sind, die eigenmächtig sind und ihr Leben mit Magie erfüllen und schöpferisch gestalten. Widmet euch mit Freude, Hingabe, Begeisterung und Disziplin eurerHexenkunst, seit freudvoll und unkonventionell, hört auf eure Intuition, pflegt die Verbindungen zu euren Hilfsgeistern, zu den Ahnen und Göttern und nehmt eure Andersartigkeit an- denn in dieser liegt unsere größte Kraft.
Gut und sehr treffend geschrieben!
Nur fehlt mir etwas die Tatsache, dass das echte Anderssein (nicht anders sein wollen und Hexe werden wollen…), das ja ein gewisses „Privileg“ ist, auch einen hohen Preis hat, den man zahlen muss: Durch das Ausgestoßensein, Alleinsein, Unverständnis, die eigenen Irrwege… Letztendlich heißt Hexenkunst ebenso, das Helle und das Dunkle zu vereinen und auch die Dunkelheit lehrt. In meinen Augen mehr als alle Freude und „Freunde“. Wenn es darauf ankommt, wirklich Hexe zu sein, muss man selbst bestehen und seine Opfer bringen, dafür leiden – das wahre Potenzial kommt erst aus der Dunkelheit. Wer dem nicht gewachsen ist, verliert sich und verirrt sich leider.
Es ist nicht alles nur schön und ich finde wichtig, auch das zu erwähnen – aus Eigenerfahrung.
Danke toller Artikel ♡
Lieben Dank
Sehr schöner Artikel. Das Bild der Hexe hat sich wirklich ziemlich gewandelt, aber dennoch wird man in der Gesellschaft noch immer sehr schnell als „Esotante“, Spinner, u.ä. abgetan. Darüber frei und offen zu reden, ist noch immer nicht möglich, da man schnell noch einen Freifahrtsschein in die Psychiatrie bekommen kann, das Jugendamt kritisch guckt, die Nachbarn sowieso usw. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.
Ich muss auch Caroline recht geben. Man ist immer noch ein Außenseiter. Und das auszuhalten ist nicht immer einfach.